Von Weinstein bis Polanski – Wie sich mein Standpunkt änderte

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Von Weinstein bis Polanski über „#balancetonporc“ – auf Deutsch in etwa: Verpfeif dein Schwein – stellt sich die Frage: Sind wir zu weit gegangen? Weinstein war ein Raubtier und missbrauchte seine Macht dazu, seine Impulse zu befriedigen, die seine Macht in ihm erzeugte. Ein unendlicher Teufelskreis. 

Letztendlich fiel er über sein eigenes Schwert. Sein Verhalten war ein offenes Geheimnis und Gegenstand unzähliger Witze. Jedoch fragt man sich, wie dies alles geschehen konnte, und wohlmöglich vom Schweigen und mitunter der Komplizenschaft gefördert und begünstigt wurde.

Ein Auswuchs führt häufig zum nächsten vollkommen gegensätzlichen Exzess. Nach dem Schweigen kommt nun der Medienrummel. Die Anprangerungen in den sozialen Netzwerken ließen nicht lange auf sich warten, z. B. unter dem Hashtag #balancetonporc, die französische Entsprechung von #metoo. 

Doch was kommt als Nächstes? Öffentliche Enthauptungen? Aufhängen an den Genitalien? Alles ohne Prozess natürlich. Bei diesem Punkt bin ich auf jedenfalls etwas zurückhaltender.

Nun kommt die „Polanski-Affäre“ mit neuen Anschuldigungen wegen Belästigung im Jahr 2017.

Polanski hat seine eigene düstere Vergangenheit, die in die 1970er Jahre zurückreicht. 2009, als der Regisseur bei den Züricher Filmfestspielen war, wurde er von den Schweizer Behörden verhört, die einen Haftbefehl der USA ausführten, dem er auf Kaution entkommen konnte. Er wurde 2 Monate lang unter Hausarrest gestellt. Interessant dabei ist, dass sich in dieser Zeit ein gewisser Harvey Weinstein für seine Freilassung einsetzte.

(Vorab) letzter Teil dieser Serie ist die Empörung feministischer Organisationen gegen eine Polanski-Retrospektive in der Cinémathèque, dem französischen Tempel der Filmkultur.

Auf der einen Seite stehen die Petitionen und Aktionen (insbesondere durch die Femen), die versuchen die Ausrichtung der Retrospektive zu verhindern. Auf der anderen Seite steht die Cinémathèque, die herauszustellen versucht, dass es zwischen dem Autor und seinem Werk einen Unterschied gibt (eine immer noch offene Debatte z.B. bei Louis-Ferdinand Céline). Das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte, denn dieselbe Cinémathèque hat für Januar eine Retrospektive von Jean-Claude Brisseau angekündigt, d.h. jenen Regisseur, der 2005 wegen sexueller Belästigung von zwei Schauspielerinnen und 2006 wegen sexueller Nötigung einer dritten Schauspielerin verurteilt wurde.

Ja, ich mache einen Unterschied zwischen künstlerischem Schaffen und Autor und ich würde gern noch einmal „Reise bis ans Ende der Nacht“ lesen. Und ja, ich glaube, dass Exzesse gut sind, wenn diese dem Machtmissbrauch ein Ende setzen.

Kunst an sich mag über der Moral und den Gesetzen stehen, ihre Autoren allerdings nicht.

Das Kino war der erste Bereich, der von dieser Welle betroffen wurde. Diese Welle benetzt nun ganz langsam und vorsichtig auch die Sphäre der Politik. Ich hoffe, sie wird noch anschwellen und mit derselben Kraft alle anderen Bereiche der Macht treffen.

Philippe Mathieu / Everton Gayle