Kurz und gut: das 40. Kurzfilmfestival in Clermont-Ferrand

Kurzfilm ist mehr als kurzer Film. Es ist eigenes Genre und vereint doch alle Genres des Langfilms in sich. Die besten Werke zeigt das Kurzfilmfestival in Clermont-Ferrand, das in diesem Jahr ein Jubiläum feiert.

Foto: Baptiste Chanat

Es gibt gelegentlich Programme von Filmfestivals, die sind eher unübersichtlich. Nein, eigentlich gibt es nur unübersichtliche Programme. Von Berlin bis Wien, von San Sebastian bis Belgrad, ist es nie leicht, sich als Besucher durch die Auswahl zu arbeiten.

Besonders schwierig ist es allerdings in Clermont-Ferrand. Das Festival, das vom 3. bis 10. Februar stattfindet, zeigt ausschließlich Kurzfilme, es ist somit das wichtigste Festival dieses Genres in Europa (falls man bei Kurzfilm überhaupt von einem Genre sprechen kann).

Fernab von Jugendfilmfestivals (wenn sich auch die Qualität mancher Jugendfilme im oberen Drittel durchaus mit Clermont messen kann), zeigen hier mehr als 100 zumeist junge Filmemacher hunderte Filme. Junge Filmemacher deshalb, weil der Kurzfilm immer noch als Sprungbrett in die Welt des Langfilms gesehen wird.

Das Festival zeigt, dass nichts weiter weg von der Realität ist. Der Kurzfilm hat sich weiterentwickelt, vom einfachen Vorfilm im Kino mit meist witziger Pointe zum dramatischen Akt, zu großen Emotionen, Träumen und Hoffnungen in der kleinen Welt der 20 Minuten (maximal 60 Minuten werden als Kurzfilm akzeptiert).

Dieses Jahr ist es düster. Die Welt da draußen spiegelt sich auf der Kinoleinwand, und da ist nicht viel Hoffnung zu sehen. Filme über Gewalt, Flucht, Einsamkeit und innere Emigration prägen das Festival. Was nicht heißen soll, dass nicht auch Höhepunkte des Humors und der Herzlichkeit ihren Platz haben, beispielsweise in “Der Sieg der Barmherzigkeit” des deutsch-österreichischen Filmemachers Albert Meisl der Humor und in “Montauk” des Schweizer Filmemachers Vinz Feller die Herzlichkeit.

Apropos Schweiz: Dem Land ist dieses Jahr eine Retrospektive gewidmet. Auffällig ist, dass sich Schweizer Filmschaffende häufig ins Ausland begeben. In der Schweiz selbst spielen nur wenige der Filme, die in der Auswahl gezeigt werden. Stattdessen sind Schauplätze die Ukraine, der Kosovo, Türkei; und wenn es dann doch einmal in der Schweiz spielt, dann wird in “Mak” die rührende Geschichte einer jungen Migrantin erzählt, die sich schweren Herzens entschließt, ihr neugeborenes Baby wegzugeben. Die Schweiz, ein Vielvölkerstaat, auch in filmischer Hinsicht. Wobei die meisten Filme in Clermont-Ferrand aus dem französisch sprachlichen Teil der Schweiz zu stammen scheinen (wer zählt mal nach?).

Besondere Beachtung verdient innerhalb der Schweizer Filmblöcke Georges Schwizgebel. Der Animationsfilmer schafft es nicht nur, aus zweidimensionalen Malereien nahe des Expressionismus dreidimensionale Räume und deren Erschließung mit der bewegten Kamera in einer Virtuosität nachzuahmen, die jeden Kamerakranlenker erblassen lässt. Er entführt dabei auch in Welten, die so nahe an der Realität, aber gleichzeitig so absurd sind, dass es eine wahre Freude ist. Der M.C. Escher des Animationsfilms, er ist ein Schweizer.

GEORGES SCHWIZGEBEL FILMOGRAPHY from Swiss Animation on Vimeo.

Ist die Auswahl der Filme für den Zuschauer schwierig, so ist es für die Kuratoren eine Sisyphos-Aufgabe, wenn auch eine sehr erfreuliche. Sie haben die Wahl aus 8.400 Einsendungen. Häufig werden diese Filme an Hochschulen produziert, es sind Zweitjahresfilme ebenso wie Abschlussarbeiten. Produziert wird oft in Zusammenarbeit mit nationalen und regionalen Filmförderungsanstalten, auch die Fernsehsender Arte, ZDF und as französische Fernsehen sind immer wieder im Abspann erwähnt.

Netflix, wo bist du?

Wenig sieht man dagegen von den neuen Playern im Geschäft: Netflix, Amazon und selbst die kleineren Independent-Streamingdienste haben den Kurzfilm als Produzenten noch nicht im großen Stil für sich entdeckt. Immerhin schickten ein paar wenige Streamingdienste Vertreter nach Clermont-Ferrand, die nach lohnenswerten Produkten Ausschau hielten, unter ihnen Vimeo und Nowave.

Ob die Zukunft des Kurzfilms im Kino liegt, war Thema einer Diskussionsrunde. Diese befasste sich vor allem mit der französischen Filmförderung CNC, die unter jungen Kurzfilme teilweise als Heilsbringer gilt. Selbst die gut ausgestatteten deutschen Förder- und Finanzierungsmechanismen reichen demnach nicht an das System der Nachbarn ran.

An der Tatsache, dass mit Kurzfilmen für die Produzenten und Filmemacher kaum Geld zu verdienen ist, ändert das zunächst nichts. Und so bleibt Clermont-Ferrand zunächst ein Sprungbrett, von dem junge Regisseure ihren Weg in die Welt des “richtigen” Films suchen.

Philip Artelt